Die Mortalitätskrise in Transformationsökonomien

Soziale Verwerfungen, psychosozialer Stress und übermäßiger Alkoholkonsum erhöhen die Sterblichkeitsrate beim Übergang zur Marktwirtschaft

University of Florence, Italy

one-pager full article

Relevanz des Themas

Einschneidende wirtschaftliche und politische Veränderungen, haben oft enorme soziale und Gesundheitskosten zur Folge, selbst wenn sie potenziell positiver Natur sind. Diese Übergangskosten werden von der Politik meist unterschätzt. Die Sterblichkeitskrise in den ehemaligen kommunistischen Ländern Europas ist dafür ein gutes Beispiel. Sie hat zwischen 1990 und 2000 statistisch gesehen rund zehn Millionen zusätzliche Todesfälle verursacht – Folge der Transformation zu einem höheren sozioökonomischen Niveau, die politisch nicht aktiv, effektiv und sozial gerecht organisiert worden ist.

Stress und Lebenserwartung bei der Geburt (LEB) in Regionen der Russischen Föderation, 1989–1994

Wichtige Resultate

Pro

Akuter psychosozialer Stress war einer der Hauptgründe für den starken Anstieg der Mortalität in den Transformationsstaaten.

In Mitteleuropa wurde die postkommunistische Sterblichkeitskrise schnell überwunden, während in vielen Teilen der ehemaligen UdSSR die Lebenserwartung bei der Geburt erst 2013 wieder auf das Niveau von 1989 zurückkehrte.

Der relative Erfolg der mitteleuropäischen Länder bei der Erholung von Gesundheitsschocks gibt Hinweise, wie Sterblichkeitskrisen dieser Art in Zukunft vermieden werden können.

Contra

In den meisten Ländern hatten Analysen zum Effekt der Transformation auf die Sterblichkeit kaum Einfluss auf die Politik.

Angesichts der Vielfalt der erklärenden Variablen lässt sich ein einziges Kausalmodell zur Erklärung der postkommunistischen Mortalitätskrise kaum entwickeln.

Lückenhafte Daten zu Alkoholkonsum und Stress im Verlauf der Transformation erschweren eindeutige Aussagen über deren relative Auswirkungen auf die Mortalität.

Die Mortalitätskrise betraf primär arbeitslose, alleinstehende, junge und ältere Männer und Frauen mit eingeschränkter Qualifikation, die unter Stress in urbanen Zentren lebten oder dorthin zogen.

Kernbotschaft des Autors

Der Übergang der kommunistischen Länder Europas zu marktorientierten Volkswirtschaften wurde allgemein als ein wichtiger Schritt in Richtung Weltfrieden und wirtschaftlichem Fortschritt begrüßt. Im Gegensatz zu den Erfahrungen aus China und Vietnam war der Transformationsprozess in Mittel- und Osteuropa jedoch von schweren wirtschaftlichen Rückschlägen und einer akuten Mortalitätskrise geprägt. Diese Sterblichkeitskrise war auf akuten Stress zurückzuführen, den die schwächsten Bevölkerungsgruppen in Zeiten außergewöhnlicher Instabilität zu spüren bekamen. Umschulungen, Reformen der Arbeitslosenunterstützung, Lohnsubventionen, öffentliche Aufträge und andere politische Maßnahmen sollten deshalb darauf zielen, sozialen Ungleichheiten oder Ausgrenzung, dem Auseinanderbrechen von Familien und Emigration vorzubeugen.

Full citation

Full citation

Data source(s)

Data type(s)

Method(s)

Countries